Friday, September 24, 2010

Kernbotschaft oder „Reason to Care“ – Was führt Kreative auf die richtige Spur?

Bild: C. Riedel, Planning Barcamp Hamburg in der Good School, August 2010

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe der new business vom 20. September 2010. Gemeinsam mit zwei Kollegen habe ich mir nach dem 2. Planning Barcamp Gedanken gemacht über die These, ob wir nach wir vor eine "große Botschaft" im Briefing brauchen. Meine Thesen gab es hier im Blog bereits zu lesen. Hier unsere Sichtweisen: Drei Planner im Austausch zum „Grund des Interesses“.

Das Briefing der Kreativen ist die Königsdisziplin der strategischen Planung. Hier beweist sich nicht nur, ob eine Strategie logisch und fundiert ist, sondern auch ob sie die Kreativen zu ungewöhnlichen Lösungen inspiriert. Die etablierte Praxis in vielen Agenturen lautet deshalb, die Strategie auf einen zentralen Satz einzudampfen. Egal ob dieser Satz Kernbotschaft oder kreatives Sprungbrett heißt – er soll Kreativen ein Fundament geben, um ihre Ideen in die richtige Richtung zu lenken.

Diese Arbeitsweise wurde auf dem zweiten Planning Barcamp in Frage gestellt. Neben vielen spannenden Themen stieß Tim Keil, Planner bei Philipp & Keuntje, eine hitzige Diskussion an: Brauchen Kreative den einen Satz, die „große Botschaft“ überhaupt? Sollte es nicht darum gehen, die Gründe deutlich zu machen, warum sich Menschen für unsere Botschaften interessieren könnten? Eben einen oder mehrere „Reasons to Care“ im Briefing zu formulieren.
Kann ein „Reason to Care“ die strategische Gewissheit für bärenstarke Kommunikation geben?

Drei Hamburger Planner stellen ihre Perspektive vor und laden zur weiteren Diskussion ein.

Christian Riedel, Creative Glasses: Eigentlich geht es darum, was Kommunikation aus sich heraus populär macht.

Aus der Metaperspektive betrachtet, glaube ich, dass hinter der Forderung nach einem "Reason to Care" eigentlich eine andere Frage steht: Was macht Kommunikations-maßnahmen aus sich heraus populär?

Kommunikation soll heute nicht nur ein Produkt, eine Marke aufmerksamkeitsstark in Szene setzen. Stattdessen sollen Kommunikationsmaßnahmen selbst so interessant sein, dass sich Menschen freiwillig dafür begeistern, darüber sprechen, mitmachen oder ihr Erlebnis teilen.

Doch wenn Kommunikationsmaßnahmen als mediales Angebot populär werden sollen, muss man sich fragen, warum sich Menschen dafür interessieren sollten?

Der „Reason to Care“ will darauf eine strategische Antwort geben. Es ist der Versuch, einen Aktivierungsgrund zu finden, der möglichst viele Menschen dazu bringt, sich mit einem kommunikativen Angebot auseinander zu setzen. Doch um diesen Aktivierungsgrund zu finden, gilt es zunächst zu erforschen, warum einige mediale Angebote populär werden und andere nicht.

Der englische Kulturforscher John Fiske hat sich in seinem Buch „Understanding Popular Culture“ damit beschäftigt. Ich habe einige Ideen zur Popularität für mich abgeleitet:

1. Popularität entsteht aus individuellem Vergnügen.
Fiske zeigt, dass Popularität nicht aus dem Inhalt eines Angebots entspringt. Sie entsteht aus dem individuellen Vergnügen der Nutzer mit dem Inhalt. Ein Vergnügen, dass eng an die eigenen Lebenskontexte gebunden und von Mensch zu Mensch im Detail verschieden bleibt. Daher muss ein Angebot Spielraum für viele Vergnügensvariationen besitzen, um populär zu werden.

2. Popularität entsteht aus Vieldeutigkeit.
Ein inhaltlicher Vergnügens-Spielraum entsteht nur, wenn ein Angebot mehr als eine Deutung zulässt. Durch die Vieldeutigkeit können Menschen aus unterschiedlichen Kontexten ihr Vergnügen an einem Inhalt finden. Humor, Ironie und Provokation sind die einfachsten ästhetischen Mittel der Vieldeutigkeit. Über einen witzigen Clip kann man gemeinsam lachen oder sich gemeinsam darüber aufregen. Die Beschäftigung mit dem Inhalt ist trotzdem die Vorraussetzung.

3. Popularität erfordert Loslassen.
Vieldeutigkeit widerspricht dem Bedürfnis einer Marke, eine eindeutige Botschaft abzusetzen. Doch wer die inhaltliche Kontrolle behalten will, sich vor Provokantem und Kritik scheut, muss auf populäre Maßnahmen verzichten und weiter Propaganda machen. Denn Menschen merken sehr schnell, wenn ein Angebot kein Vergnügen bereitet, weil es nur den ökonomischen Interessen der Marke dient.

Vor diesem Hintergrund wird nicht nur der Erfolg des Tipp-Ex Bären auf YouTube transparenter sondern auch, dass man den einen „Reason to Care“ nicht formulieren kann. Deshalb hat er im Briefing auch nichts zu suchen.

Ich sehe im „Reason to Care“ vielmehr den Aufruf an Strategen und Kreative die Balance aus Marken- und Publikumsinteresse zu suchen. Ein Aufruf, Zielgruppen nicht als dumpfe Normalverbraucher zu konstruieren, sondern als relevante Mitspieler im Kommunikationsprozess ernst zu nehmen. Letztlich ist es besser, sich bei jeder Idee zu fragen: „Is it really, really, really exciting?“, als die schönste Botschaft im Desinteresse verschwinden zu lassen.

Nina Rieke, doubleshift: Menschen unterscheiden nur danach, was sie interessiert.
Wir leben in einer post-digitalen, weil längst zusammengewachsenen Medienwelt. Menschen unterscheiden nicht nach Kanälen – sondern nur danach, was sie interessiert. Das hat Howard Gossage schon in den 60ern formuliert: „People don’t read ads – they read what interests them, and sometimes it’s an ad.“ „Ad“ lässt sich da gegen jede Form von Kommunikation ersetzen.
Darum geht es immer: etwas aus sich heraus so interessant zu machen, das Menschen sich gern damit auseinandersetzen. Die aktuell spannendsten Kommunikationsideen zeigen, das sie alle auf den ein oder anderen möglichen „Reason to Care“ einzahlen. Egal, ob Produkt oder Werbung. Und die folgenden acht Interessensgründe können das Briefing sicher bereichern.

1. Spielerisches Erlebnis schaffen.
Zuletzt war es „Shoot the Bear“ von Tipp-Ex. Einer der ersten war Burger King mit dem „Subservient Chicken“. Das Hornbach-Haus ist ein deutsches Beispiel, gleich in 3D. Die „Fun Theory“ von VW – kein Wunder, das die Lerntheorie verstärkt auf spielerische Elemente setzt.

2. Nützlich & hilfreich sein.
Mit mint.com gibt es ein Banking-Angebot, das einen besseren Überblick über die eigenen Finanzen bietet. Zum Launch des neuen IKEA-Katalogs kommt dieser nicht allein – sondern bringt die hilfreichen „IKEA Einrichtungsberater“ mit.

3. Großzügig sein & abgeben.
Monetär großzügig ist die von IDEO entwickelte „Keep the change“ Idee für Bank of America. Ob ich nur ein IKEA-Möbelstück auf Facebook taggen und mitnehmen kann oder Support über die Pepsi Refresh-Initiative suche - Großzügigkeit schafft Nähe.

4. Einen höheren gesellschaftlichen Sinn schaffen.
Sich einem relevanten Thema annehmen – und „social“ auch wirklich sozial zu interpretieren, wie Häagen-Dazs es mit „Where my bees at“ zeigt oder Pedigree mit dem „adoption drive“.

5. Einen offenen Dialog ermöglichen.
Ein prominentes, wenn auch abgenutztes Beispiel: die „Twelp Force“ von Best Buy die es ermöglichen, sich mit dem Elektronikhändler des Vertrauens auszutauschen. Die deutsche Kampagne von 1&1 versucht Ähnliches - und zeigt, das es Teil der Unternehmensdenkweise sein muß, um zu funktionieren.

6. Ehrliche Produkt-Tests, die sich selber verbreiten.
Echte Kunden sprechen lassen – nicht die typische gecastete Knoppers-Hausfrau, die doch irgendwie unehrlich wirkt. Das Fiesta-Movement oder die „Prescribe the nation“-Kampagne von Vaseline zeigen, wie es gehen kann.

7. Etwas Persönliches schaffen.
Auf Moo.com schaffe ich individualisierte Businesskarten und mit Blurb Books mein persönliches Buch. Mit dem „Routan Babymaker 3000“ von VW konnte ich virtuelle Babies zaubern. Personalisierte Filme gibt es einige – aktuell das Musikvideo von „Arcade Fire“, das mit Google Streetview personalisiert wird unter www.thewildernessdowntown.com

8. Gemeinsam entwickeln, verbessern, lernen.
Die Menge an Flashmobs in der Werbung zeigt, wie gern Menschen gemeinsam etwas erleben und mit der Welt teilen. Crowdsourcing entwickelt Produkte und lässt Kampagnen entstehen: Dell ideastorm, Lego designbyme, mystarbucks idea, auch Tchibo hat was. Unilever hat so für Peperami Werbung entwickelt, die Bild-Kampagne letztes Jahr ist ein deutsches Beispiel (das auch die kreativen Limits zeigt).

„Reasons to Care“ sind kein Ersatz für eine gute Botschaft – aber zeigen, das es gute Gründe gibt, die für mehr Interesse sorgen können.

Michaela Jausen, Tribal DDB: Erst am Ende des Kreativprozesses hat man meist ein wirklich gutes Briefing.

„Reason to Care“: Soll das nicht der Grundsatz eines jeden Briefings sein?
Was geht da draußen in der Welt vor, was beschäftigt die Menschen und wie kann ich sie mit einer Kommunikationsleistung überzeugen, genau das zu tun was ich von ihnen erwarte? Also nicht nur Interesse wecken, sondern Insights generieren, die Menschen in ihrem aktuellen Kontext widerspiegeln und die Möglichkeit nutzen sie richtig zu bedienen. Das ist für mich der Kern meiner Arbeit als Plannerin. Fragen stellen wie: Was können Menschen damit anfangen? Wie schaff ich es, das sie mit ihren Freunden darüber sprechen?
Wie praktisch ist die Tatsache, dass das digitale Zeitalter uns einen Rückkanal schenkt, mit dem wir Antworten auf die gestellten Fragen bekommen. Menschen besser verstehen, mit ihnen interagieren und auf sie reagieren können. Nicht mehr hinter der Scheibe, sondern mitten drin.

„Reason to Care“: Durch den Rückkanal einen Schritt weiter gehen?
Durch den Rückkanal können wir Menschen in ihrem Kontext schneller, besser erfassen und Kommunikationslösungen und Produkte entwickeln, die genau auf die Bedürfnisse der Menschen einzahlen. Beispiel eines Verhütungsmittelherstellers, der auf Onlineunterhaltungen reagierte, in denen Frauen ihren Konflikt zwischen Verhütung und Kinderwunsch zum Ausdruck brachten. Durch eine Produktinnovation bietet der Hersteller Frauen einen Vorschlag, ihren Zwiespalt zu lösen: Zu dem Verhütungspräparat wurde ein Vitamin hinzu addiert, das Schwangerschafts- unterstützend wirkt, sobald das Verhütungspräparat abgesetzt wird. Schizophren, verkauft sich aber wunderbar.

„Reason to Care“: Was bedeutet das jetzt für das Briefing?
Es ist nicht der „Reason to Care“, an dem ein Briefing hängt. Viel wichtiger sind die Grundgedanken, dass Kommunikationslösungen nicht nur zum Zuhören oder zur Aufmerksamkeitsgenerierung entwickelt werden, sondern um mit Menschen zu interagieren, sie zu involvieren und zu faszinieren. Siehe aktuelle Beispiele wie die „Tipp-Ex-Experience: Shoot the Bear“ oder der „Samsung 3D Event: Win a Samsung 3 D LE: Click as on many butterflies as fast as you can and share it via Twitter, Facebook, e-mail.“.
Für mich ist die Erkenntnis von Jon Steel ausschlaggebend, dass ein Briefing nie der Träger eine Lösung sein kann, sondern der Beginn und Begleiter eines kreativen Lösungsprozesses. Also Businessproblem und Zielsetzung klar formulieren, die richtigen Fragen stellen und den Rest an den Prozess anpassen. Häufig hat man erst am Ende eines Kreativprozesses ein wirklich gutes Briefing in der Hand.


Alle drei Autoren sind Mitglied in der APG (Account Planning Group) – dem Verband der Marken- und Kommunikations-Strategen und u.a. uch auf Twitter zu finden. Michaela Jausen unter @elijau, Christian Riedel als @mindcaffeine und Nina Rieke unter @NinaRieke.

Die APG wurde vor 14 gegründet und zählt mittlerweile rund 300 Mitglieder, die beruflich täglich über den Tellerrand des Alltagsgeschäfts blicken und sich mit der Zukunft von Marken und Kommunikation befassen. Die APG bietet Vorträge, Seminare und eine jährliche open source zum regen Gedankenaustausch. Das Planning Barcamp ist eine selbstorganisierte Ad-hoc Konferenz für strategische Denker der Kreativindustrie. Es fand dieses Jahr zum zweiten Mal statt.

Dieser Beitrag ist in der new business Rubrik „Strategy Corner“ erschienen am 20. September 2010. Hier schreiben jede Woche Mitglieder der APG zu einem Thema ihrer Wahl. Mit der Strategy Corner will die APG aktuelle Themen aufgreifen und zur weiteren Diskussion auffordern. Ein Forum dafür gibt es auf der APG-Homepage und auf Facebook.