Friday, October 22, 2010

„Immer in Beta“ – Marken & Strategien müssen so agil sein wie die Welt selber.

Image: cc mlowe/ flickr


Als ich anfing, in der Werbung zu arbeiten, wurde ich mit der Theorie der „Markenführung“ konfrontiert. Da ging es um fixierte Markenmodelle, klare Werte und dem ewigen Prinzip der Selbstähnlichkeit. Und vor allem um die Unantastbarkeit der Marke, ihrer Werte und Dinge, wofür sie steht. Das war in den frühen 90ern: Die Marke als heilige Kuh. Später kam die These vom „hybriden Konsumenten“ auf. Einem Wesen, das einfach nicht so stringent und nach Plan handelt, wie wir Marketingleute das gern hätten. Sondern sich emotional, konträr und vor allem situativ mal so, mal so entscheidet.

Wir haben uns in eine schnelllebige Zeit bewegt – in der viele Regeln nicht mehr gelten. Was nicht heißen soll, das Regeln nicht gut sind. Aber wir müssen damit leben, zu lernen, sie bewusst zu brechen und neu zu definieren. Neue Regeln zu finden heißt: neue Wege auszuprobieren. Um Schritt zu halten mit den Veränderungen. Denn ein Festhalten an starren Markenmodellen, fixierten Benefit-Reason Why-Schemata und heiligen Insights wird auf Dauer nicht helfen, Marken und ihre Kommunikation in dynamischen Märkten weiterzuentwickeln.

Inspiration dazu kommt aus dem Bereich, in dem viele innovative Produkte entstehen - der Software-Entwicklung. Die Arbeitsweise hier hat längst verinnerlicht, wie sie schneller zu erfolgreichen Ergebnissen kommt. Hier gilt das Prinzip: denken - machen – testen -überarbeiten. Also zirkulär statt linear. Eine Arbeitsweise, die wir in den über Jahrzehnten sehr linear geprägten Entwicklungs-Prozessen im Marketing nicht verinnerlicht haben - die aber Kommunikationsentwicklung und Marken-Strategie maßgeblich beeinflusst. Heute ist kaum Zeit, in langfristige Entwicklungsphasen einzutreten. Der Sinn detaillierter Marktforschung wird längst in Frage gestellt: oft ist sie vor allem rückwärts schauend und veraltet, wenn sie abgeschlossen ist. Meist soll die Kampagne vorgestern fertig sein, ein Forschungsbudget gibt es nicht und am Ende interessieren sich alle eher für Quartalszahlen als langfristige Markenführung. Das mag dem Strategen nicht schmecken – aber es entspricht der Realität der Märkte.

Wonach handeln Sofware-Entwickler? Das bereits 2001 verfasste „Agile Manifesto“ macht es deutlich:

Individuals and interactions over processes and tools
Working software over comprehensive documentation
Customer collaboration over contract negotiation
Responding to change over following a plan
That is, while there is value in the items on the right, we value the items on the left more.

Wichtig ist dabei: es geht nicht um ein komplettes Verlassen der Aspekte auf der rechten Seite – sondern eine neue Gewichtung in der Arbeit. Wenn das für die Produktentwicklung von neuen Unternehmensideen gilt – dann müssen wir lernen, wie es funktioniert. Denn mit den alten Denk- und Arbeitsweisen werden Marken nicht in die Zukunft gelangen.

Die Prinzipien lassen sich sehr schön auch als Manifest für „Agile Strategie“ interpretieren – was in der Tat ein Umdenken für viele von uns bedeutet:

1. Kollaborieren, Kommunizieren & stetiger Austausch über Learnings.
"Part of my job is to move (a good idea) around, just to see what different people think, get people talking about it, argue with people about it, get ideas moving among that group of 100 people…get different people together to explore different aspects of it" (Steve Jobs)

Network als Arbeitsprinzip. Agile Teams statt starrer Struktur. Strategen sind keine Hellseher, die als Heilsbringer ins Meeting kommen, einen Creative Brief verteilen und gehen. Sondern optimalerweise Bestandteil von Teams, in denen beständiger interdisziplinärer Austausch herrscht.

2. Mehr sinnstiftende, richtungsweisende Markenstory – weniger heilige „Insights“.
„The Story is more powerful than the brand – Story first, brand second.“ (Tom Peters)

Marken reflektieren die Kultur, die ihre Zielgruppen umgibt – und damit antworten sie auf kulturelle Veränderungen. Eine klare Mission, eine spannende Story ist dabei um längen interessanter und involvierender als ein statisches Markenmodell mit einem fixierten Insight, 10 Markenwerten und einem einzigen Benefit. Storytelling – das ist eine Geschichte, die sich entwickelt und neue Kapitel aufschlägt.

3. Produkt-Protoypen & Kommunikations-Ideen testen & hinzu lernen.
„You can talk and think about stuff for ages and ages before doing something or other. Why not just do something straight away and learn from that?“ (Tim Malbon, Made by Many)

In Zeiten knapper Budgets haben wir längst gelernt, das wir selten viel Research-Etat für gründliche Vorab-Forschung haben. Trotzdem macht es Sinn, Kommunikations- und Produkt-Ideen zu testen - mit möglichst einfachen, schnellen Research-Tools. Und mit dem Blickwinkel, das es nicht um Hopp oder Topp geht – sondern um ein agiles Weiterentwickeln durch gewonnene Erkenntnisse im Prozess. Also Ideen testen, nah an den realen Lebenswelten der Menschen, die angesprochen werden sollen. Jenseits von laborartigen Testsituationen und umfangreichen quantitativen Marktforschungs-Settings. Im Joghurtsinne: Produktideen diskutieren, nicht unendlich nach Motiven für Joghurtkonsum forschen. Teilnehmende Beobachtung durch das Team, statt umfassende Marktforschungsberichte.

4. Dynamisch auf Veränderung reagieren – statt einem fixierten Plan zu folgen.
„Planning is guessing“ ist eine der Thesen von 37signals in ihrem Buch „Rework“.

Feedback auf Ideen bestimmt, welche Richtung der Prozess nimmt. Unerwartetes Feedback führt zu einem unbestimmten weiteren Verlauf. Im Arbeitsprozess entstehen so Erkenntnisse, die z.B. aufzeigen, das die Lösung jenseits vorgedachter Medienformate und Kommunikationswege liegt.

Und auch made by many benennt das, was viele Planner aus ihrer Arbeit kennen: im Arbeitsprozess entsteht eine Idee. Eine gute Idee – nur hat sie leider gar nichts mit der bisherigen Strategie zu tun. Wegwerfen – nur, damit die Strategie weiter der offizielle Treiber des Ideenprozesses ist. Wohl kaum. Sondern: reverse engeneering – und sehen, was an der Idee passt und überprüfen, wie relevant sie ist. Gängige Praxis allemal. Und vielleicht deckt die Idee eine Lücke in der bisherigen Strategie auf.

Der Job der Planner ändert sich damit. Es geht viel mehr um das Entwickeln einer gemeinsamen Arbeitskultur – neben Inspiration und Kollaboration geht es dabei vor allem darum, eine erste Marschrichtung zu definieren. Sie zu testen und zu adaptieren. Nicht um das fixierte Festhalten und reine Überprüfen von Ideen, ob sie „on strategy“ sind – sondern die geistige Flexibilität, gemeinsam mit anderen an der optimalen Lösung zu arbeiten. Und in diesem Prozess ein Umfeld zu schaffen, in dem dies möglich ist. Der Stratege entwickelt die Rahmenhandlung – und adaptiert sie im Arbeitsprozess, wo es notwendig ist.

Erfreulich ist, das diese Kompetenz auch auf Führungsebene wertgeschätzt wird. In einer aktuellen IBM-Studie nach den zukünftig wichtigsten Führungskompetenz befragt, nennen CEOs einhellig „Kreativität“. Nicht Effektivität, Einfluss oder Leidenschaft – sondern Kreativität. Was vor dem Hintergrund, das sie die härteste Rezession ihrer Karriere erlebt haben, nachvollziehbar ist. Nachdem Managementdisziplin und Regelnbefolgen nicht zum Ziel führen, ein sinnvoller Paradigmenwechsel im Denken. Das passt auch zu einer weiteren Erkenntnis der Studie: die globale Komplexität ist die größte Herausforderung für Unternehmen und ihre Anführer.

Jetzt werden viele sagen: na, das funktioniert bei Software. Bei Joghurt wird es mit der Betaversion aber ein bisschen schwierig. Virtuelle Produkte lassen diese Arbeitsweise viel eher zu. Aber auch Kommunikation ist bis zu einem gewissen Grad erst einmal virtuell. Und besteht aus vielen einzelnen Kampagnenteilen, die sich zu einer Story ergänzen.

„Sehnsucht Machen“ ist ein Aspekt, der auch auf der US-amerikanischen Planningness-Konferenz der letzten Woche deutlich wurde. Trotz allem: im Kern steht Planning weiter dafür, eine sinnvolle, relevante Basis für zielgerichtetes Handeln zu schaffen. Statt einfach erstmal zu handeln. Aber: Planning sollte stärker integrierter Bestandteil im Arbeitsprozess sein. Eine integrierte Denkweise, statt einer abgeschlossenen Disziplin, die bei Bedarf zu Meetings und Prozessen eingeladen wird. Damit wir alle agiler handeln können, bedarf es Teams, die gemeinsam Thesen aufstellen, ausprobieren und überarbeiten.

Die Diskussion dazu hat die Agentur „made by many“ bereits vor einer Weile auf ihrem Blog angestoßen. Und bezieht sich dabei ebenso auf das „Agile manifesto“ der Software-Entwickler sowie das Buch „Rework“ von 37Signals – was als weitere Lektüre dazu ausdrücklich zu empfehlen ist.

„Doing over Planning“ ist eine der Thesen von „made by many“. Als ein Teil der Arbeitskette, der vor allem letzteres tut, heißt das im übertragenen Sinn: schnell & zielgerichtet denken, gemeinsam Dinge entwickeln und dann besser machen. Strategien. Marken. Kommunikation. Denn am Ende steht nie ein Haufen Charts – sondern eine Idee, ein Produkt, eine Marke, die sichtbar und erlebbar sein soll.

Abschliessend einige schöne Video-Statements u.a. von Designern zum Thema, agil auf Veränderungen zu reagieren und in Beta zu sein.

Delivered in Beta from KS12 on Vimeo.



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Dieser Beitrag erschien in gekürzter Fassung in der new business Rubrik „Strategy Corner“ – in dem sich jede Woche Mitglieder der APG zu einem Thema ihrer Wahl äußern. Mit der Strategy Corner will die APG aktuelle Themen aufgreifen und zur weiteren Diskussion auffordern. Ein Forum dafür gibt es auf der APG-Homepage.